Die Dörfler nannten sie nur „Abuela Isela“ – eine kleine, wettergegerbte Frau, deren Augen mehr Abenddämmerungen gesehen hatten, als es Jahre in einem Menschenleben zu geben schien. Elina war aus der Stadt gekommen, erschöpft, überdreht, zerrissen von einer Arbeit, die alles nahm und nichts gab. Sie hatte von einer Zeremonie gehört, einem Trank aus einer Liane, die nur in dieser Region wuchs, bitter wie eine Wahrheit, die man lange vermeiden wollte.
Der Kreis saß im offenen Maloca, während draußen die Frösche riefen. Das Feuer brannte ruhig, und der Rauch roch nach getrockneten Blättern. Isela reichte Elina die Tasse. „Trink, aber höre zu“, sagte sie. „Das, was du sehen wirst, will dir nichts nehmen. Es will dir zeigen, was du weggelegt hast.“
Der Geschmack war erdig, metallisch. Nach wenigen Minuten begann der Raum zu atmen. Muster krochen aus den Schatten, wie bemalte Schlangen, die ihre Körper zu einem Lied bewegten, das nur Elina hören konnte. Sie spürte, wie etwas in ihr zu bröckeln begann – eine Wand, hinter der Bilder lagen: sie selbst als Kind, lachend in einem Kleid, das nach Sonne roch; die Hände ihrer Mutter, jung und warm; das Gesicht eines Mannes, den sie geliebt und dann fortgeschickt hatte.
Dann kam Dunkelheit. Aus ihr traten Gestalten, geformt aus den Farben ihrer eigenen Ängste: eine, die wie Schuld roch; eine, die sprach wie ihre innere Kritikerin; eine, die gar nichts sagte, nur ansah. Elina wollte weglaufen, aber die Lianenbilder schlängelten sich um ihre Handgelenke, hielten sie sanft fest. „Sieh sie an“, flüsterte eine Stimme, vielleicht ihre eigene.
Die Stunden dehnten sich, wurden zu Flüssen aus Erinnerung, Schmerz und unverhohlener Schönheit. Am Ende, als die Sonne über die Bäume kam, saß Elina am Feuer, Tränen und Lächeln gleichzeitig im Gesicht. Die Dorfbewohner brachten ihr Wasser, und Isela nickte zufrieden. „Du hast sie gesehen“, sagte sie. „Nun bist du frei, sie zu lieben.“