„Zwischen den Schleiern“
Juna war eine Träumerin. Schon als Kind konnte sie sich stundenlang in den Himmel versenken, als würde sie dort etwas suchen, das niemand sonst sah. Mit sechzehn begann sie, sich nachts seltsam zu fühlen – als würde ihr Körper schlafen, aber ihr Geist wach bleiben.
Zuerst war es nur ein Vibrieren, ein leises Summen, wie ein Lied, das irgendwo zwischen den Knochen schwang. Dann kam das Gefühl des Fallens – oder vielleicht eher des Loslösens. Und eines Nachts geschah es:
Juna lag in ihrem Bett, unbeweglich, zwischen Schlaf und Wach. Ihre Augen waren geschlossen, aber sie sah.
Sie sah sich selbst – von oben.
Still, friedlich.
Doch sie war nicht mehr im Körper.
Sie schwebte.
Panik blitzte kurz auf. Doch dann spürte sie eine Wärme, eine sanfte Welle aus Vertrauen, und ließ los.
Der Raum um sie herum dehnte sich, als wäre er nicht aus Wänden, sondern aus Schichten von Wirklichkeit. Sie glitt durch sie hindurch – durch die erste Schicht, wo Gedanken wie Nebel waberten. Dann durch eine zweite, wo Farben lebendig waren und Musik sich anfühlte wie Licht.
Dort begegnete sie jemandem. Oder etwas.
Eine Präsenz, die keinen Namen trug. Kein Gesicht. Aber sie kannte sie. Aus Träumen vielleicht. Oder aus einem früheren Dasein.
Die Stimme war nicht hörbar, sondern spürbar:
„Du bist mehr als dein Körper. Du bist ein Reisender zwischen den Welten.“
Juna erkannte Bilder – Erinnerungen, die nicht ihre waren. Leben in anderen Zeiten, andere Perspektiven. Ein Schmetterling in Südamerika, ein Sternenkrieger in einem Traumreich, ein Baum in einem heiligen Wald.
Sie fragte:
„Was ist real?“
Die Antwort war einfach:
„Alles, was du bewusst erlebst.“
Als sie zurückkehrte, war es, als würde sie durch einen engen Tunnel gleiten, wieder schwer werden, sich erinnern, dass sie einen Körper hatte. Das Vibrieren wurde langsamer. Dann war sie wieder da. Im Bett. In der Nacht. Doch nichts war mehr wie vorher.
Von da an war jede Nacht ein Portal. Mal flog sie durch Städte aus Licht, mal besuchte sie Menschen, die sie nie getroffen hatte, aber liebte, als wären sie Teil von ihr. Mal landete sie in dunklen Räumen, wo ihre eigenen Schatten warteten – Prüfungen auf dem Weg, ihre eigene Wahrheit zu erkennen.
Sie begann, tagsüber zu zeichnen, zu schreiben, zu meditieren. Und sie erkannte:
Die Welt ist nicht nur das, was man anfassen kann.
Der Körper ist ein Haus – aber nicht das Zuhause.
Bewusstsein ist grenzenlos, wenn man den Mut hat, loszulassen.
Und manchmal, wenn der Mond besonders klar am Himmel stand, stand Juna still im Fenster, atmete tief – und lächelte.
Denn sie wusste:
„Ich bin nicht allein. Und ich bin mehr als hier.“